Vergesst Hochglanz-Tuning und hochpreisig ausgestattete Boliden, denn bei diesem Trend werden die Waschanlagen gemieden und das Auto wird in seinem Leben wohl nicht mehr mit Politur in Berührung kommen. Seit einiger Zeit ist dieser Trend nun auch in Europa angekommen und hier erfahrt ihr nun alles, was ihr über die sogenannten Rat Rods wissen müsst, bei denen schon Moos in den Lüftungsschlitzen wächst und bei denen Rost und Kratzer statt Hochglanz überwiegen.
Wer kennt das nicht: Als junger Fahranfänger bekommt man Opas alten 3er Golf, der schon 150.000 km auf der Uhr hat und freut sich wie Bolle, dass man überhaupt einen fahrbaren Untersatz hat. Da die Kohle natürlich immer knapp ist und man sich eher für die Mädels als für das Auto interessiert, wird die Karre gnadenlos heruntergeritten. Aber halt! Oft verbirgt sich hinter der gammeligen Außenhaut des Autos meist ein technisch noch einwandfreier Motor und auch alle anderen Teile sind in Ordnung. Und schon ist ein neuer geboren und die Rat Rods – vor allem zuerst bekannt aus der USA (wir berichteten) – sind nun auch hierzulande in Europa angekommen.
Die Technik muss natürlich einwandfrei sein, denn sonst gibt es Ärger mit dem TÜV und das heißgeliebte Gefährt bekommt die ersehnte Plakette nicht erteilt. Aber alles was nicht sicherheitsrelevant ist, interessiert die technischen Prüfer ja auch nicht und so kann die Außenhaut von Opas einstigen Schmuckstück schön weiter vor sich hingammeln bzw. ordentlich Patina ansetzen. Und damit diese etwas schneller auf den Lack kommt und man nicht erst Jahrzehnte auf den gewünschten Effekt warten muss, hat Jeder so sein eigenes Geheimrezept. Die einen schleifen den Lack nur runter und stellen die Teile über den Winter vor die Tür, um Wind und Wetter den Rest erledigen zu lassen. Andere schwören auf Essigsäure oder helfen gar mit Salzsäure nach. Bevorzugte Farben bei den Fans der Ratten sind mausgrau, mattschwarz, sumpfgrün und rostrot-nicht gerade Trendfarben, aber wer will schon das haben, was der Ottonormalverbraucher um die Ecke bevorzugt? Um den „Edelrost stahlfrei“ dann tatsächlich auch in diesem Zustand zu konservieren, kommt meist noch eine Schicht Klarlack darüber.
Auf jeden Fall gilt in der Szene: Kreativität kommt vor Chrom. Einen Tieferlegungssatz kaufen und einbauen kann schließlich jeder und wer das nötige Kleingeld hat, steckt mal eben 50.000 Euro in einen kleinen Polo, nur um die Mädels mit seinem fahrbaren Untersatz zu begeistern. Bei den Ratten-Freunden ist das anders. Mit wenig Geld, aber jeder Menge Einfallsreichtum wird hier der Wagen individualisiert. Da wird der Dachhimmel schon mal mit Bierdeckeln zugepflastert oder die Türverkleidungen von innen tapeziert, damit der Wagen zur guten Stube des Besitzers wird. Aber auch wenn die Autos oft so scheinen, als würden sie jeden Moment auseinanderbrechen, steckt unter der Haube oft ein PS-starkes Aggregat, das so manchen Porsche versägt. Da kann es vorkommen, dass ein 18 Jahre alter Fiat Punto an der Ampel den nagelneuen 911er abhängt. Denn wie gesagt: Die Autos sehen nur alt aus, sind technisch aber auf einem Top-Niveau und haben jede Menge Dampf unter der Motorhaube.
Ging vor einiger Zeit der Trend noch zu Mammutfolierungen auf der Karosse und zu diesen komischen Monsterface-Stoßstangen, so scheinen in diesem Jahr Airride-Fahrwerke total angesagt bei den Rattenfreunden zu sein. Und manchmal sind die Autos so tief, dass fast die Reifen hinter der Außenhaut des Autos verschwinden. Dabei sollte die Hülle des Autos natürlich auch gleich noch mit ein paar Beulen verschönert worden sein. Auf jeden Fall sollte man erkennen, dass das Auto schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat und dass sein Besitzer viel Zeit und Mühe in diesen Look investiert hat. Wer aktuelle Einblicke in die Szene erhalten will, bekommt diese auf der Facebook-Seite der deutschen Rat Rod-Community oder auf der Page der Rat Cars and Hoodriders.
Bilder: © Helmut Weinand/mid, pagenstecher.de
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